Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, beim nächsten Börsenhype mal so richtig mit abzukassieren? Da die Blasen jedoch meist genauso schnell wieder platzen wie sie vorher aufgeblasen wurden, ist das Timing äußerst schwierig. Christof von Wenzl zeigt daher im Folgenden lieber einige Kriterien auf, wie man langfristige Investments von kurzfristigen Hypes unterscheidet.
Nachdem wir uns zuletzt bereits dem Thema der prominent gewordenen SPACs gewidmet haben, sorgte der Shortseller Hindenburg Research nach seinem Bericht zu Nikola dieser Tage für einen erneuten Paukenschlag im SPAC-Universum.
Der Shortseller scheint Gefallen am gehypten Wasserstoff- und E-Mobilitätssektor gefunden zu haben und äußert sich im neuesten Bericht negativ zum vermeintlichen zukünftigen Produzenten von E-Pickups, Lordstown.
Wie so viele neue Unternehmen im gehypten E-Mobility- und Wasserstoffsektor feierte auch Lordstown standesgemäß und ohne große regulatorische Schwierigkeiten seine Börsenpremiere über den Zusammenschluss mit einem SPAC.
„…transforming Ohio‘s Mahoning Valley and Lordstown, Ohio, into the epicenter of electric-vehicle manufacturing“. Dau schau her! Lordstown will den US-Staat Ohio also zum Elektroauto-Nabel der Welt machen.
Im Chart lässt sich erkennen, welches Potenzial SPACs bieten, wenn man nur früh genug dran ist und es sich um Themen handelt, die in aktuelle Hypes passen. Allerdings wird auch deutlich, wie schnell Anleger die Lust an einer Aktie verlieren können. Bereits Monate vor Veröffentlichung des angesprochenen Berichts von Hindenburg Research vom 12. März ging es im Nachgang an einen negativen Analystenkommentar von Morgan Stanley steil abwärts mit der Firma mit großen Ambitionen.
Der Bericht von Hindenburg ist mit pikanten Details geschmückt und üppig bebildert. Es ist regelrecht unterhaltsam, sich durch den Bericht zu scrollen, der scheinbar jedes noch so kleine vermeintliche dreckige Detail aufzudecken sucht. So wird nicht nur die Anzahl der Vorbestellungen für den Pickup Endurance angezweifelt, sondern auch dessen Zustand. Schließlich soll dieser bei seiner ersten Testfahrt auf offener Straße nach gerade einmal zehn Minuten Fahrt in Flammen aufgegangen sein.
Wie unterscheidet man langfristige Investments von kurzfristigen Hypes?
So kontrovers die Rolle von Shortsellern auf den Finanzmärkten auch gesehen wird, so lehrreich können doch die veröffentlichen Berichte sein. Zudem wird Anlegern dank der ‚Opposition‘ durch Shortseller immer wieder ins Gedächtnis gerufen, dass man gut beraten ist, genau hinzuschauen und manche Story einfach zu gut ist, um wahr sein zu können. Schlussendlich helfen diese Akteure auch dabei, Anleger vor Blasen zu bewahren.
Wie erkennt man aber so eine Blase? Neben exorbitanten Bewertungen gibt es noch einige andere Indikatoren, die dabei helfen können, Spekulationsblasen frühzeitig zu erkennen und zu ergründen, ob der nächste Trend bereits marktreif ist und bereits als solides Langzeitinvestment geeignet ist.
1. Hoffnung statt Fakten
Im Fall von Lordstown hoffen Anleger auf die vollmundigen Zahlen zu den immerhin 100.000 Fahrzeug-Vorbestellungen, die einem Umsatzvolumen von über fünf Milliarden Dollar entsprechen. Allerdings gibt es hierbei bereits zwei grundsätzliche Probleme. Erstens waren diese Vorbestellungen nicht rechtlich bindend. In vielen Fällen ging es lediglich um Absichtserklärungen. Oftmals liest man auch von einem ‚letter of intent‘, was so viel wert sein kann wie heiße Luft in Einmachgläsern. Die Story steht also auf sehr dünnem Eis.
Zweitens muss ein Produkt erst einmal hergestellt werden. Was nutzen Tausende von Vorbestellungen, wenn nicht einmal gewiss ist, ob und in welchem Zeitraum diese abgearbeitet werden können. Ob eine Produktion überhaupt derart schnell und reibungslos ausgebaut werden kann, kann man als Privatanleger ohnehin nicht so einfach feststellen. Zudem begleicht in den meisten Fällen der Aktionär über die Ausgabe neuer Aktien die Kosten für den Ausbau der Produktion, zumindest bei Unternehmen, die über keinen nachhaltigen Cashflow verfügen – was für eine Aktienverwässerung sorgt.
Auch wenn es sich um einen Hype-Titel handelt, bei dem die Story kurzfristig mehr zählt als die Substanz: Den Vorzug sollten Unternehmen bekommen, die zumindest bereits über nennenswerte Umsätze verfügen und in der Vergangenheit bewiesen haben, Kapazitäten erfolgreich ausbauen zu können, im Idealfall ohne die Ausgabe neuer Aktien, sondern aus dem eigenen Cashflow.
2. Die disruptive Technologie XYZ wird die Welt verändern
Was haben Wasserstoff, Erneuerbare Energien und Blockchain gemeinsam? Sie alle vereint eine Story mit disruptivem Potenzial. Ersteres wird Energiewirtschaft und Transport revolutionieren, Wind und Solar werden fossile Energieträger ins Abseits verbannen und die Blockchain wird als revolutionäre Technologie in unser aller Leben Einzug halten, vom selbstfahrenden Auto bis hin zum blockchain-basierten Grundbuch.
Es sind die Geschichten, die die Anlegerfantasie aufblühen lassen und Aktien zu nicht vorstellbaren Kursgewinnen verhelfen. Die Fantasie ist es auch, die das Thema Bewertung – zumindest temporär – stets in den Hintergrund treten lässt. Was interessieren schon altmodische Kennzahlen, wenn es schließlich um ein revolutionäres Produkt geht, das unser aller Leben umkrempeln wird?
Die Frage hierbei ist nur erstens, ob diese Disruption überhaupt eintritt und zweitens wann diese eintritt.
Beispiel Ehang Holdings: Die Aktie des chinesischen Produzenten von autonom fliegenden Personentransportdrohnen konnte innerhalb eines Jahres von zehn auf knapp 130 Dollar steigen. In Videos konnte man sich von den Fähigkeiten des revolutionären Fluggeräts überzeugen. Schon kamen Hoffnungen auf ein bequemes, schnelles und staufreies Reisen bei gleichzeitiger Schonung der Umwelt auf. Schließlich stößt die strombetriebene Drohne keine Abgase aus. In wenigen Jahren werden wir kein eigenes Auto mehr fahren, sondern uns bequem per App eine Drohne anfordern, die uns zur gewünschten Destination bringt – Stau ade. Die disruptive Idee war perfekt.
Dumm nur, dass es für das Konzept noch gar keinen Markt gibt, geschweige denn eine rechtliche Grundlage. So wird an manchen Orten bereits mit Drohnentaxis experimentiert. Damit ein Geschäftsmodell rentabel ist, benötigt es aber immer eine erfolgreiche Etablierung auf dem Massenmarkt. Davon sind wir mit den noch zu leistungsschwachen Drohnen weit entfernt. Auch gibt es noch keine Gesetze, die den Flugverkehr von bemannten autonom fliegenden Drohnen überhaupt regeln. Dass es auch nicht gerade umweltschonend ist, derart viel Strom für den Lufttransport von maximal zwei Menschen zu verbrauchen – geschenkt.
So werden wir in Zukunft möglicherweise tatsächlich autonome Flugtaxis erleben. Bis es soweit ist, vergehen aber bestimmt noch mindestens fünf, wenn nicht zehn Jahre. Jetzt schon diese hoffnungsvolle Zukunft zu kaufen, ist reine Spekulation.
Egal, um welche disruptive Technologie es sich handelt. Es dauert immer Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, bis sich die Technologie durchsetzen kann – wenn überhaupt. Bestes Beispiel hierfür ist das Aufkommen des Internets um die Jahrhundertwende. Viele Ideen und Geschäftsmodelle waren gut. Leider waren sie in Anbetracht dessen, dass kaum ein Mensch über einen Internetanschluss verfügte, aber noch um Jahre zu früh dran.
3. Zu kleiner Markt, zu viele Konkurrenten
Dieses Frühstadium einer Idee ist es auch, weshalb sich ein wirtschaftlicher Erfolg erst nach vielen Jahren einstellen wird. Um ein Produkt für den Massenmarkt interessant zu gestalten, muss das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmen, was erst dann gewährleistet ist, wenn man in großen Stückzahlen produzieren kann.
In der Frühphase eines neuen Trends geht es meist um teure Prototypen mit schwacher Leistung. So geschehen zu Beginn des Digitalzeitalters in der Fotografie, als eine Digitalkamera einen Unsinn kostete und mit der sich zudem nicht einmal bessere Fotos schießen ließen als mit gewöhnlichen Kameras mit herkömmlichem Film.
Um einen Markt zu erschließen und Marktanteile zu gewinnen, werden die Produkte zu Beginn meist zu Dumpingpreisen verschleudert. Die Tatsache, dass – getrieben von der Goldgräberstimmung für die betreffende Branche – auch viele andere Mitspieler auf den Plan treten, verstärkt den Preissturz für die neuen Produkte zusätzlich. So geschehen bei Herstellern von Solaranlagen in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends.
4. Ungewissheit darüber, wer das Feld als Sieger verlassen wird
Die allermeisten Unternehmen eines Hypes verschwinden genauso schnell in der Versenkung, wie sie emporgestiegen sind. Die Technologie erweist sich als unausgereift, fehleranfällig und/oder wird von der Effizienz eines Konkurrenzproduktes in die Bedeutungslosigkeit verbannt.
Wer sagt, dass Brennstoffzellen-Produzenten wie Ballard Power, Powercell Sweden oder Plug Power nebeneinander existieren können? Wer sagt, dass nicht ein anderes Unternehmen mit einem besseren Ansatz um die Ecke kommt, und die Technologie der bekannten Player ad absurdum führt?
Allein beim Check der Forschungsbudgets der genannten Unternehmen wird sofort klar, dass es für einen gestandenen Konzern ein leichtes wäre, in den Markt groß einzusteigen. So gab Ballard Power im vergangenen Jahr 32 Millionen Dollar für Forschung & Entwicklung aus und Plog Power 51 Millionen, während der deutsche Chemieriese BASF ein Forschungsbudget von über zwei Milliarden Euro aufweist.
„Was heißt das für mich konkret?!“
Hypes kommen und gehen – und wenn man früh genug dran ist, kann man sehr viel Geld an so einem Hype verdienen. Allerdings platzen die Blasen so gut wie immer genauso schnell, wie sie aufgeblasen wurden. An die zuvor proklamierte Devise „Dann halte ich die Position eben für die nächsten zehn Jahre. Ich bin geduldig“ hält sich indes kaum ein Anleger. Die oben genannten Punkte zu verinnerlichen, können dabei helfen, solide Langzeitinvestments von kurzfristigen Spekulationen zu trennen.
Wenn man aber Glück hat und mit seiner Position erst einmal hohe doppelstellige oder gar dreistellige prozentuale Kursgewinne verbucht hat, sollte man einen großen Teil der Buchgewinne schleunigst eintüten. Im Idealfall handelt es sich bei der Restposition dann nur mehr um ‚Spielgeld‘ und ein Totalverlust würde zwar emotionalen, aber zumindest nicht finanziellen Schmerz verursachen.
Herzlichst
Ihr Christof von Wenzl
Quellen: tradingview.com, sentieo.com